Relevanz einer Integration von Genderperspektiven in die Soziale Arbeit

03. Mai 2021 | Genderpädagogik | 0 Kommentare

Eine Genderperspektive als Analysemittel in der sozialpädagogischen und sozialarbeiterischen Praxis zu nutzen, stellt noch längst keine Selbstverständlichkeit dar. Auch an Universitäten und Fachhochschulen sind Module zu Gender Studies keine Pflichtveranstaltungen für Studierende der Sozialen Arbeit. Dabei betrifft Geschlecht als Strukturkategorie jede Person und geschlechtsspezifisches Verhalten aufgrund einer bestimmten geschlechtsspezifischen Sozialisation ist damit allgegenwärtig. Wie im Privaten, so hat sich auch in der Praxis der Sozialen Arbeit ein Umgang mit Geschlecht eingespielt, der die tiefe Verinnerlichung einer natürlich gegebenen Geschlechterordnung aufweist. So finden Fallbesprechungen die mehr auf geschlechtsspezifisches Verhalten eingehen, hauptsächlich auf einer nicht ausreichend reflektierten Ebene statt und allzu schnell werden Fälle unter erlernten und verinnerlichten Ansichten diskutiert, die Stereotype von Männlichkeit und Weiblichkeit verfestigen. So werden beispielsweise in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen immer noch bestimmte Verhaltensweisen die bei männlich gelesenen Personen als „natürlich“ und „normal“ gelten, für weiblich gelesene Personen als problematisch bewertet und anders herum. Als Fachkräfte reagieren wir auf Verhalten und geben somit auch eine Norm von geschlechtsspezifischen Verhalten vor, was sich auf die Kinder und Jugendlichen auswirkt. Auch als Fachkräfte sind wir selbst geprägt von einer weiblich oder männlichen Sozialisation aufgrund der zweigeschlechtlichen Verhältnisse in unserer Gesellschaft. Daher ist es umso wichtiger, dass Fachkräfte ausgebildet werden in genderreflexivem und -sensiblem Handeln und eine Genderperspektive als Analysemittel in ihr professionelles Handeln integrieren können.
Im Folgenden stelle ich genauer heraus, warum eine Genderperspektive als Analysemittel wertvoll und wichtig ist und ziehe dabei Corinna Voigt-Kehlenbeck heran, die einen klaren Auftrag zur Integration der Genderperspektive in die Soziale Arbeit feststellt, sowie Lothar Böhnisch und Frank Bettinger, um die Berechtigung dieser Forderung anhand des Arbeitsauftrags der Sozialpädagogik zu prüfen.

Voigt-Kehlenbeck benennt Konzepte, die eine Integration von Genderperspektiven nicht nur ermöglichen, sondern aus denen sich auch ein Auftrag der Integration dieser ableiten lässt. Das Prinzip der Offenheit in Konzepten der Sozialen Arbeit zieht sie als erstes heran, welches ein Prinzip aus dem Teilbereich der offenen Jugendarbeit darstellt und ergebnisoffene Prozesse ermöglicht. Hier findet ein methodisches Handlungsverständnis Anwendung, das keinen festgelegten Interventionstechniken folgt und keine Handlungen fixiert, sondern Orientierung bietet und Nachdenklichkeit fördert (vgl. Voigt-Kehlenbeck 2008, S. 126). Ein zentrales Anliegen sei es demnach, widersprüchlichen Strukturen in den Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit, einen Raum zu verschaffen, um sie zu begreifen. Zudem fügt sie das Selbstverständnis für die Soziale Arbeit aus der kritischen Perspektive hinzu, nachdem widerständig agierenden Subjekten beigestanden werden muss, um deren Bemühen um Eigenverantwortlichkeit zu stärken und zu flankieren (vgl. Voigt-Kehlenbeck 2008, S. 126). Die Sozialpädagogik sollte demnach die Genderperspektive integrieren, um die Subjekte zu befähigen, Konflikte zu bewältigen, die sich aus der Konstruktion Geschlecht ergeben und die sich mit anderen Strukturkategorien, sowie der Verleugnung dieser Strukturen selbst, vermischen. Die Alltagswelt der Subjekte ist dadurch von widersprüchlichen Deutungskontexten geprägt, die für Verunsicherung und Verwirrung sorgen (vgl. Voigt-Kehlenbeck 2008, S. 126f). Die Gesellschaft konfrontiert die Kinder und Jugendlichen mit bestimmten Vorstellungen und Erwartungen bezüglich ihres Geschlechts. Da diese Vorstellungen und Erwartungen ein Konstrukt darstellen, was jedoch innerhalb der Gesellschaft als von der Natur gegeben betrachtet wird, besteht die Gefahr, dass Konflikte aufkommen.

Jedoch ergibt sich an dieser Stelle, in Bezug auf den von Böhnisch formulierten Arbeitsauftrag der Sozialpädagogik, dass durch die Erwartungen und Forderungen der Gesellschaft, die in Bezug auf ihr Geschlecht an die Jugendlichen gestellt werden, ein Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft besteht, das Konflikte verursacht. Die Sozialpädagogik bezieht sich auf diese Verhältnisse und hat den Auftrag, diese als Konflikt zu betrachten, zu analysieren und Konzepte zur Konfliktbearbeitung zu entwickeln (vgl. Hamburger 2008, S. 14). Die Aufgaben, die sich aus der kritischen Perspektive nach Bettinger für die Soziale Arbeit ergeben, lassen ebenfalls die Integration der Geschlechterverhältnisse als Auftragsgebiet der Sozialen Arbeit als notwendig erscheinen. Denn in den nach Bettinger formulierten Aufgaben der Sozialen Arbeit, sollte im ersten Schritt nach den gesellschaftlichen Bedingungen und Strukturprinzipien gefragt werden, wobei die darin liegenden gesellschaftlichen Begrenzungen und materiellen sowie kulturellen Zwänge, denen die Menschen unterworfen sind, offengelegt werden sollen (vgl. Bettinger 2013, S. 341). Gender als wesentliche Strukturkategorie nicht in das Aufgabenfeld der Sozialen Arbeit mit einzubeziehen, würde bedeuten, dass eine wesentliche Perspektive, auf Konflikte der Jugendlichen im Verhältnis zur Gesellschaft zu schauen, unbemerkt bleibt und zudem die Konstruktionen um das Geschlecht in der eigenen Arbeit als Sozialarbeiter_in/ Sozialpädagog_in unbemerkt reproduziert werden, wodurch sich unbewusst in den Dienst der herrschenden Machtstrukturen gestellt wird. Um Jugendliche zu befähigen ihre Konflikte, die sich aus der Konstruktion Geschlecht ergeben, zu bewältigen, müssen sie diese erst einmal verstehen. Sie benötigen somit das Wissen um diese komplexen Strukturen, die sich durch Verdeckungszusammenhänge nicht einfach von selbst offenbaren (vgl. Voigt-Kehlenbeck 2008, S. 126f). Im zweiten Schritt hat die Soziale Arbeit nach Bettinger nun auch die Aufgabe, die Sachzwänge, denen die Menschen durch die gesellschaftlichen Begrenzungen unterworfen sind und die als naturgegebene, soziale Phänomene dargestellt werden, als das zu offenbaren, was sie auch eigentlich sind. Und zwar als in Diskursen durch kollektive, interessengeleitete Akteure konstruierte Verhältnisse, die eben dadurch, dass sie bewusst konstruiert sind, nicht naturgegeben, sondern veränderbar sind (vgl. Bettinger 2013, S. 341). Abgeleitet auf die Geschlechterverhältnisse in der Gesellschaft, hat die Soziale Arbeit nicht nur die Aufgabe, in der Arbeit mit Jugendlichen, das Wissen um diese Verhältnisse und deren Konflikte zu vermitteln und Orte zur Konfliktbearbeitung zu bieten, sondern diese gesellschaftlichen Verhältnisse und Strukturen auch als ein Konstrukt zu markieren und eine Veränderbarkeit dieser aktiv zu verdeutlichen. Die für die Jugendarbeit verpflichtende politische Partizipation, im Sinne einer Förderung der Kritikausübung an der Gesellschaft, gemäß § 11 SGB VIII, bietet zusätzlich eine starke Begründungsgrundlage für ein Projektkonzept, dass Jugendliche dazu befähigt, gesellschaftliche Begrenzungen und Zwänge, die sich aus der Konstruktion Geschlecht ergeben, zu verstehen und das ein Loslösen von der Illusion einer Naturgegebenheit dieser Verhältnisse ermöglicht, was Raum schafft, für eine uneingeschränkte Kritikausübung an der Gesellschaft. Somit stellt sich die Genderperspektive einerseits als relevant für die Haltung und Kenntnisse als Sozialarbeiter_in oder Sozialpädagog_in dar, die es ermöglicht, Konflikte die das Verhältnis von Gesellschaft und Individuum betreffen, aus einer weiteren genderreflexiven Perspektive analysieren zu können und somit ein breiteres Feld an Konfliktlösungen zur Verfügung zu stellen. Andererseits ergibt sich aus der Genderperspektive auch insofern ein Auftrag für die Sozialpädagogik, als dass diese Thematik inhaltlich an die Jugendlichen heranzutragen ist, um ihnen durch das Wissen um die Konstruktion Geschlecht und die sich dahinter verbergenden Machtstrukturen einen Raum zu ermöglichen, in dem sie den scheinbar naturgegebenen, gesellschaftlichen und geschlechtsspezifischen Strukturen nicht mehr ohnmächtig erlegen sind.

 

Literaturnachweise

Bettinger, Frank (2013): Widerstand an allen Fronten! Plädoyer für eine selbstbestimmtere, politische und kritische Soziale Arbeit. In: Zimmermann, Ingo; Rüter, Jens; Burkhard, Wiebel; Pilenko, Alisha; Bettinger, Frank (Hrg.): Anatomie des Ausschlusses. Theorie und Praxis einer Kritischen Sozialen Arbeit. Wiesbaden: Springer VS, S. 339-424

Hamburger, Franz (2008): Einführung in die Sozialpädagogik. Auflage 2. In: Helsper, Werner; Kade, Jochen; Lüders, Christian; Radtke, Frank-Olaf; Thole, Werner (Hrsg.): Grundriss der Pädagogik/ Erziehungswissenschaft. Band 17. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer.

Voigt-Kehlenbeck, Corinna (2008): Flankieren und Begleiten. Geschlechterreflevive Perspektiven in einer diversitätsbewussten Sozialarbeit. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

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